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Policy Insights

Vorbereitungsworkshop: Lebenswelten 4.0?

Zur Bedeutung des sozialen Umfelds in städtischen Bezirken und ländlichen Regionen angesichts des demografischen Wandels

Ergebnisprotokoll des Workshops am Dienstag, 24. September 2019, mit Expert/innen aus Wissenschaft, Politik und Gesellschaft in den Räumen von Population Europe im WissenschaftsForum in Berlin.
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Vorbereitungsworkshop: Lebenswelten 4.0?

Ergebnisprotokoll des Workshops am Dienstag, 24. September 2019, mit Expert/innen aus Wissenschaft, Politik und Gesellschaft in den Räumen von Population Europe im WissenschaftsForum in Berlin.

Teilnehmer: Laura Castiglioni, Deutsches Jugendinstitut (DJI); Andreas Edel, Population Europe; Sven Iversen, Arbeitsgemeinschaft der deutschen Familienorganisationen (AGF) e. V.; Sebastian Klüsener, Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BIB); Florian Kraupa, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ); Jens-Peter Kruse, Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organsiationen (BAGSO); Emily Lines, Population Europe; Markus Mempel, Deutscher Landkreistag; Uwe-Matthias Müller, Bundesverband Initiative 50Plus; Claudia Neu; Universität Göttingen; Barbara Schwarze, Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit e. V. und Hochschule Osnabrück; Clara Wengert, Deutscher Bundesjugendring; Klaus Zeitler, SIREG Rottenburg.

 

Ziel des Workshops war es, in Vorbereitung auf eine Tagung in Berlin am 20. Januar 2020 die Situation der jüngeren und älteren Generation sowie junger Familien in ländlichen und urbanen Räumen mit Expert/innen zu diskutieren, insbesondere hinsichtlich der sich auf der kommunalen Ebene stellenden Herausforderungen.

Durch den Wegzug von Menschen in die größeren Städte beziehungsweise in deren Umland wird der Handlungsbedarf in Zukunft eher noch zunehmen. Die sich daraus ergebenden Probleme werden zudem durch grundlegende Herausforderungen unserer Gesellschaft überlagert. Dazu gehören etwa die Frage nach der nachhaltigen Finanzierung des Sozialsystems und des Gesundheitswesens mit Blick auf den in zehn bis fünfzehn Jahren bevorstehenden Eintritt der geburtenstärksten Jahrgänge der Babyboomer ins Rentenalter, die Diskussion um die Vereinbarkeit der in den Familien geleisteten Pflege mit der Berufstätigkeit beider Partner, der grundlegende Wandel im Wirtschaftsleben und auf dem Arbeitsmarkt im Zuge der Digitalisierung und schließlich die Herausforderungen bei der Integration von Migrant/innen.

Deshalb sollte man auch von vorneherein von der Idee einer „One-size-fits-all“-Lösung Abstand nehmen. Lösungen müssten vielmehr auf die Größe, die vorhandene Infrastruktur und Finanzausstattung der jeweiligen Kommune angepasst werden. Es stellt sich auch die Frage, ob ein auf die Lebensstile einer (groß)städtischen Bevölkerung ausgerichtetes Konzept in ländlichen Räumen sinnvoll angewandt werden könnte (z. B. im Bereich der Elektromobilität oder bei E-Health-Dienstleistungen). Möglicherweise könnten Maßnahmen mit einem auf kleinere räumliche Einheiten angepassten Lösungsansatz (z. B. als Quartiersmanagement) sehr viel effizienter umgesetzt werden. Auch die Familie als eine im unmittelbaren Lebensumfeld des Einzelnen angesiedelte Institution ist strukturellen Veränderungen ausgesetzt, beispielsweise durch einen höheren Mobilitätsdruck, steigende Kinderarmut oder neue Formen des Zusammenlebens (etwa die Tendenz zur Kleinfamilie oder zu Patchwork-Familien). Bei der künftigen Planung müsse dies stärker berücksichtigt werden, da die Familien deshalb möglicherweise mehr Unterstützung benötigen, wenn sie weiterhin ihre wichtige Rolle etwa bei der häuslichen Pflege oder der Fürsorge für die nächste Generation übernehmen sollen.

Im ersten Teil des Workshops skizzierten die Teilnehmer auf der Basis der Erfahrungen in ihrem jeweiligen Arbeitsfeld einige wesentliche Herausforderungen. Städte und Kommunen müssten auch in Zukunft für weitere Zuwanderung, für Berufspendler/innen bzw. Rückkehrer/innen attraktiv bleiben. Dies bedeute, dass bei der Planung der Infrastruktur deren Interessen und Bedürfnisse stärker Berücksichtigung finden sollten. Es müssen Möglichkeiten geschaffen werden, dass Menschen jeden Alters auch außerhalb der Metropolregionen ein aktives und unabhängiges Leben führen können und entsprechende Angebote im Nahbereich vorfinden. Einzelne Teilnehmer/innen betonten, dass es immer noch große Unterschiede zwischen den Städten, Kommunen und Regionen bei der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse, bei der Stärkung des gemeinschaftlichen Engagements der Bürger/innen und der sozialen Zusammenhalt stiftenden Identifizierung mit der Gemeinde oder Region gebe – und dies zwischen Süd- und Norddeutschland ebenso wie zwischen Ost- und Westdeutschland.

Einige Wortmeldungen betonten die Wichtigkeit, zivilgesellschaftliche Akteure sowie Einwohner/innen, die über mehr Zeit verfügen und sich auch aktiver einbringen möchten, insbesondere vor beziehungsweise nach ihrer beruflichen Tätigkeit, im Projektmanagement stärker zu berücksichtigen. Auch sollten die Bürger/innen in die Diskussion um die Zukunft ihrer Gemeinde aktiver involviert werden. Die Unterstützung der vor Ort lebenden Menschen sei für eine erfolgreiche Implementierung neuer Initiativen und das Anstoßen von Veränderungsprozessen ebenso wichtig wie eine gedeihliche Zusammenarbeit mit den zuständigen Verwaltungseinrichtungen. Zusätzlich sollten mehr Möglichkeiten für den intergenerationellen Austausch geschaffen werden, um insbesondere das vorhandene Potenzial der älteren Generation und ihr Erfahrungswissen für die jüngere Generation nutzbar zu machen. Durch das Engagement von Staat und Gesellschaft für die Lebenssituation der Bürger/innen vor Ort könne deren Vertrauen in die politischen und gesellschaftlichen Institutionen wieder gestärkt werden, in strukturschwachen ebenso wie in den gut entwickelten Regionen (wo Protestparteien ebenfalls Erfolge haben).

Von einzelnen Teilnehmer/innen wurde hervorgehoben, dass den Akteuren in Politik, Zivilgesellschaft und Wissenschaft die Probleme der Kommunen, insbesondere im ländlichen Raum, durchaus bewusst seien und es deshalb eher um die Frage einer effizienten und nachhaltigen Steuerung von demografischen Entwicklungsprozessen und der Umsetzung von konkreten Maßnahmen in die kommunale Praxis ginge. Dies setze sowohl eine engere Zusammenarbeit der unterschiedlichen Altersgruppen als auch konzertierte Aktionen auf den unterschiedlichen Ebenen des Regierungshandelns voraus. Vorschläge für Fördermaßnahmen zielten etwa auf

  • die Schaffung „sozialer Orte“, wo sich Menschen aller Generationen und unterschiedlicher Herkunft treffen können, und einer entsprechenden Gestaltung des öffentlichen Raumes;
  • Maßnahmen im Wohnungssektor, die auf die spezifische Nachfrage von Familien zugeschnitten sind sowie Mehrgenerationenmodelle;
  • die Förderung der Chancengleichheit von Mann und Frau auf dem Arbeitsmarkt;
  • die Ansiedelung und die bessere Vernetzung von Behörden und Einrichtungen der höheren Bildung in strukturschwachen Gebieten;
  • schließlich die aktive Förderung von Zuwanderung in bevölkerungsarme Städte, Gemeinden und ländliche Räume.

Generell müsse der Dialog wieder mehr gefördert werden, nicht nur unter den Menschen vor Ort, sondern auch auf der Ebene der Infrastrukturplaner, der politischen Entscheidungsträger, der zivilgesellschaftlichen Organisationen, der Startups, der kleinen und mittleren Unternehmen und der „Hidden Champions“. Sämtliche Aktivitäten bedürften eines vernetzten Ansatzes – trotz der beobachtbaren Tendenz zur „Versäulung“ von Entscheidungsstrukturen und zum Denken in „Silos“. Wichtig sei auch eine flexiblere Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen und die Reduzierung von bürokratischen Hindernissen bei den Projekten. Dies entlasse den Einzelnen aber nicht aus seiner Verantwortung – für den Erfolg und die Nachhaltigkeit von Projekten sei es vielmehr entscheidend, dass es vor Ort entweder eine Gruppe oder einzelne Personen gibt, die bereit sind, ein gemeinsames Vorhaben aktiv voranzutreiben.

Kritik wurde an der verbreiteten „Projektiritis“ geäußert: Es sollten nicht ständig neue Projekte aus der Taufe gehoben werden, sondern man sollte vielmehr die bereits existierenden Projekte und Infrastrukturen stärker in die Planung einbeziehen. Dazu müssten diese flächendeckend identifiziert, evaluiert und, sofern möglich, zukunftsfähig gemacht werden. Einzelvorhaben sollten besser über längere Zeiträume gefördert werden und nicht nach nur wenigen Jahren auslaufen, um mehr Wirkung erzielen zu können. Andererseits müsse trotz des verständlichen Interesses an nachhaltigen Lösungen auch Raum für experimentelle Modellprojekte gelassen werden.

Für die Agenda der Tagung im Januar wurden einige thematische Aspekte identifiziert, die in allen drei altersbezogenen Foren diskutiert werden könnten:

  • Soziale Orte – Zivilgesellschaft – Kulturlandschaft: Wie können mehr sozialer Zusammenhalt und nachbarschaftliche Solidarität erreicht werden? Wie können Menschen aus der Zivilgesellschaft in ihrer Nachbarschaft stärker Vorteil ziehen? Wie können Orte des gesellschaftlichen und generationellen Dialogs geschaffen werden? Wie kann die Identifikation der Bürger mit ihrer Stadt oder Region gefördert werden?
  • Infrastruktur: Welche Infrastrukturen sind bereits vorhanden und wie könnten sie gegebenenfalls für die neuen Herausforderungen ertüchtigt werden? Welche Rolle können digitale Angebote spielen?
  • Implementation: Welche Herausforderungen stellen sich bei der Umsetzung von Projekten auf kommunaler Ebene? Welche Rolle spielt die derzeitige Kompetenzverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen? Wie können Bürger/innen für ein stärkeres Engagement gewonnen werden?
  • Unterstützende Maßnahmen: Wie können durch entsprechende Beratungs- und Fortbildungsangebote die Akteure vor Ort unterstützt werden? Gibt es weitere unterstützende Maßnahmen, beispielsweise Programme zur Finanzierung baulicher und sozialer Entwicklungsprozesse nach dem Vorbild "Soziale Stadt" (Städetbauförderung)?
  • Diversität: Welche Rolle könnte die Zuwanderung in Gebieten mit starkem Bevölkerungsrückgang spielen? Welche Probleme der Integration stellen sich dadurch und wie können diese konstruktiv gelöst werden?

Zielgruppen: Die Tagung im Januar soll nicht nur Teilnehmer/innen aus den drei Zielgruppen (Jugend, jüngere Familien, ältere Bürger), sondern auch politische Akteure auf der Ebene der Kommunen, der Länder und des Bundes zusammenbringen. Alle Workshop-Teilnehmer/innen werden gebeten, geeignete Einzelpersonen oder Organisationen für die Veranstaltung vorzuschlagen.

Ergebnisse: Nach der Veranstaltung soll ein Policy Brief in deutscher und englischer Sprache publiziert werden. Dieses kompakte Format soll nicht nur die Diskussion auf der Veranstaltung zusammenfassen, sondern auch die Diskussion um die Demographie-Strategie weiterführen und konkrete Handlungsempfehlungen geben. Langfristig könnte auch ein Folgeprojekt diskutiert werden, gegebenenfalls auf einem Nachbereitungsworkshop.

 

Zum Herunterladen:

 

 

 

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