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Policy Insights

Integration gelingt vor Ort: Neues EU-gefördertes Projekt We-ID untersucht resiliente Kommunen

von Claudia Neu

Trotz begrenzter Ressourcen und eingeschränkten Investitionen in die Infrastruktur finden viele Gemeinden innovative Wege, das öffentliche Leben aufrechtzuerhalten und Neuankömmlinge zu integrieren. Diese neue Policy Insight betont die Notwendigkeit von mehr sozialen Begegnungsräumen, Partnerschaften zwischen Zivilgesellschaft, Kommunalverwaltungen und Unternehmen sowie intergenerationeller Zusammenarbeit, um zukünftige Herausforderungen, einschließlich Integration, anzugehen.
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 Begegnungsstätte Balow © Tobias Bringmann

 Begegnungsstätte Balow © Tobias Bringmann

Die Debatte um Asyl, Flucht und Migration wird in entscheidendem Maß den Ausgang der nächsten Bundestagswahl mitbestimmen. In den vergangenen Jahren ist es vor allem rechtspopulistischen Parteien in ganz Europa gelungen, Migration als Bedrohung der nationalstaatlichen Ordnung erscheinen zu lassen. Zum einen werden dabei bewusst Asyl, Flucht und Bildungs- oder Arbeitsmigration in einen Topf geworfen, um das Narrativ von „eigen“ und „fremd“ besser bespielen zu können. Andererseits werden so auch die Existenz und Lebensleistung von Millionen Bürgerinnen und Bürgern mit Migrationshintergrund unsichtbar gemacht und abgewertet. 

Relevanz der lokalen Ebene

Der Aufstieg disruptiver und migrationsfeindlicher Narrative und Politiken speist sich nicht zuletzt auch aus den demografischen Herausforderungen, mit denen die europäischen Gesellschaften konfrontiert sind: Geburtenrückgang und steigende Lebenserwartung prägen die Altersstruktur bei gleichzeitiger Schrumpfung der Bevölkerung insgesamt. Ein positives Wanderungssaldo wirkt Bevölkerungsverlusten, nicht aber der Alterung, entgegen. Europäische Gesellschaften werden diverser, sie sind zunehmend geprägt von ethnischer Vielfalt und multiplen kulturellen Identitäten. 

Entscheidend für ein gelingendes Miteinander sind die Städte und Gemeinden, denn hier sind die Menschen in alltägliche Lebensbezüge eingebunden:  Sie arbeiten – mit oder ohne Migrationshintergrund - in Unternehmen, Handwerksbetrieben und Verwaltungen, fahren Bus, beantragen einen Pass oder engagieren sich im Verein. In den vergangenen gut 15 Jahren standen die Städte und Gemeinden vor besonders großen Herausforderungen, denn Hundertausende von Asylsuchenden und Kriegsflüchtlingen sind in den Kommunen angekommen und mussten untergebracht werden. Allein im Jahr 2022 sind mehr als eine Million Menschen vor dem Krieg in der Ukraine nach Deutschland geflohen. Oft war schnelle Hilfe etwa für Unterbringung notwendig, die neben der Verwaltung von Unternehmen und der Zivilgesellschaft geleistet worden ist. 

Die lokalen Gemeinschaften haben vielfach kreative Wege und lokale Lösungen gefunden, um das Leben vor Ort lebendig zu halten, selbst mit begrenzten Ressourcen und eingeschränkten Investitionen in die Infrastruktur. Allerdings gelangen mittlerweile viele Kommunen an ihre Belastungsgrenze. Auch die Akzeptanz der Bevölkerung für Geflüchtete (oft in einem Atemzug mit Migranten insgesamt genannt) scheint zu sinken. Krisennarrative und Angstszenarien werden bewusst von extremen Parteien gestreut und von Parteien der Mitte reproduziert und so verstärkt (Neu 2024). 

Kommunen nicht gut auf Krisen vorbereitet

Nur selten hören wir von geglückten Integrationsgeschichten. Wie der berufliche Einstieg in einem Handwerksbetrieb oder einem Stadtwerk klappt, wo die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Religionsgemeinschaften bestens funktioniert oder intergenerationelles und interkulturelle Kochen allen Beteiligten Freude macht. Sicher, hier ist noch viel Luft nach oben, intergenerationelle Zusammenarbeit zu Zukunftsfragen, und dazu gehört unzweifelhaft die Integration von Zugewanderten, wird bisher in Kommunen als Ressource nur wenig mitgedacht (Neu 2023). Nur selten sind Kommunen auf Konflikt- und Krisensituationen gut vorbereitet, oft fehlt es hier an einer strategischen Vorausplanung um etwa demokratiefeindlichen Angriffen auf die lokale Demokratie zu begegnen (Neu 2024). In vielen Fällen müssen die lokale Zivilgesellschaft und die Kommunen diese Krisen jedoch auch bewältigen, ohne auf wissenschaftlich fundierte Informationen, politische Handlungsempfehlungen oder den kollegialen Austausch mit anderen Praktiker*innen zurückgreifen zu können.

Die Forschung zu Sozialen Orten (Kersten/Neu/Vogel 2022) hat darüber hinaus gezeigt, dass es für den lokalen Zusammenhalt entscheidend ist, dass es überhaupt öffentliche Orte der Begegnung und des Austauschs gibt. Insbesondere neue Akteurskonstellationen aus Zivilgesellschaft, Verwaltung und Unternehmen finden sich zusammen, um Herausforderungen wie die Aufnahme von Geflüchteten, aber auch den Erhalt des Schwimmbades oder der Dorfkneipe zu stemmen. In diesen lokalen Bezügen werden die Grundlagen für Vertrauen, Integration und sozialen Zusammenhalt gelegt. Geglückte Integration wird vor Ort konkret, aber auch Konflikte um Identitäten und demokratische Werte werden lokal ausgetragen. 

EU-gefördertes Projekt: We-ID

Hier setzt auch das neue EU-gefördertes Projekt „Identities – Migration – Democracy (We-ID)“ unter der Leitung von Prof. Dr. Claudia Neu (Universität Göttingen) an: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen wie Migration, demografischer Wandel und aktuelle Krisen den sozialen Zusammenhalt und die Demokratien in Europa beeinflussen. Das zentrale Anliegen ist es, mit Hilfe von Fallstudien in verschiedenen europäischen Ländern herauszufinden, wie lokale Gemeinschaften in Zeiten tiefgreifender demografischer Veränderungen gelingende Integration gestalten und durch widerstandsfähige demokratische Strukturen gestärkt werden können. Auf Basis der wissenschaftlichen Ergebnisse wird eine Toolbox mit praktischen Handlungsempfehlungen für lokale Akteure und Praktiker entwickelt.

Kooperationspartner des Projekts sind die schottische University of St. Andrews, die Wirtschaftsuniversität Luigi Bocconi in Italien, die Forschungsinstitute Institut za izsledvane na naselenieto i choveka (Bulgarien) und Institut Drustvenih Znanosti Ivo Pilar (Kroatien) sowie Population Europe (Max-Planck-Gesellschaft), der Ostseerat und die Nichtregierungsorganisation The Civics Innovation Hub. Weitere Informationen sind unter https://population-europe.eu/about-us/current-projects/identities-migration-democracy-we-id.

Literatur

Kersten, Jens/Neu, Claudia/Vogel, Berthold (2022): Das Soziale-Orte-Konzept. Hamburg.

Neu, Claudia (2024): Ertüchtigen statt entmutigen. Ertüchtigungsstrategien für eine resiliente Zivilgesellschaft, Diskussion Paper Nr. 21, Berlin. https://population-europe.eu/files/documents/pe_dp_no.21_web.pdf 

Neu, Claudia (2023): Generationenübergreifendes bürgerschaftliches Engagement für Zukunftsthemen in Kommunen, Diskussion Paper Population Europe Nr. 17, Berlin. https://population-europe.eu/research/discussion-papers/generationenubergreifendes-burgerschaftliches-engagement-fur 

 

Danksagung:

Diese Veröffentlichung ist Teil des Projekts „Identities – Migration – Democracy (We-ID)“, das im Rahmen des Forschungs- und Innovationsprogramms Horizon Europe der Europäischen Union unter der Finanzhilfevereinbarung ID: 101177925 gefördert wurde. Die hierin geäußerten Ansichten und Meinungen stammen jedoch ausschließlich von den Autor*innen und spiegeln nicht notwendigerweise die der Europäischen Union oder der Europäischen Exekutivagentur für Forschung (REA) wider. Weder die Europäische Union noch die Bewilligungsbehörde können für diese verantwortlich gemacht werden.

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Funded by the European Union

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