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Das große Ganze nicht im Blick

Wir brauchen mehr europäisch vergleichende Lebenslaufforschung zu Migrantenfamilien

Migranten und deren Kinder und Enkelkinder stellen in vielen europäischen Ländern einen bedeutenden Teil der Bevölkerung. Doch erst im Lauf des letzten Jahrzehnts hat die Forschung begonnen, sich zunehmend für die Muster der Paarbildung und das Geburtenverhalten ethnischer Minderheiten zu interessieren. Weitere Forschung ist notwendig, um den Zusammenhang zwischen Familienleben und Integration besser zu verstehen.
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Missing the Bigger Picture
Copyright: lassedesignen

Migranten und deren Kinder und Enkelkinder stellen in vielen europäischen Ländern einen bedeutenden Teil der Bevölkerung. Doch erst im Lauf des letzten Jahrzehnts hat die Forschung begonnen, sich zunehmend für die Muster der Paarbildung und das Geburtenverhalten ethnischer Minderheiten zu interessieren. Weitere Forschung ist notwendig, um den Zusammenhang zwischen Familienleben und Integration besser zu verstehen.

Hill Kulu und Amparo González-Ferrer haben sich die Forschung über Paarbildungsprozesse unter Migranten und ihren Nachkommen in Europa mit besonderer Berücksichtigung von Eheschließung und -scheidung sowie des Geburtenverhaltens genauer angeschaut. Die Autoren konzentrierten sich dabei auf solche Veröffentlichungen, die zwischen 2000 und 2013 in den wichtigsten internationalen Fachzeitschriften für Demografie-, Bevölkerungs- und Migrationsstudien erschienen sind. Die Autoren identifizieren insbesondere vier Bereiche, die bisher vernachlässigt wurden, und die sich mithilfe vorhandener Daten und Methoden genauer untersuchen lassen würden.

Erstens bestehe Bedarf an Studien zum Wandel der Familie im Lebensverlauf von Migranten und ihren Nachkommen. Obwohl die Lebenslaufforschung eine lange Tradition in den Sozialwissenschaften hat, konzentriert sich die Forschung in Bezug auf Migranten und deren Nachkommen meist auf einzelne Lebensereignisse. Es ist jedoch entscheidend, verschiedene Ereignisse und Übergänge gleichzeitig zu untersuchen, sowie gegebenenfalls auch in ihrer Abfolge. Erst so ergibt sich die Möglichkeit, ein „ganzheitliches“ Bild des Familienleben von Zuwanderern und ihren Nachkommen zu zeichnen.

Zweitens, ist mehr Forschung über die Familienverläufe der Nachkommen von Zuwanderern nötig, deren Bevölkerungsanteil im Lauf des letzten Jahrzehnts beträchtlich zugenommen hat. Solange die „Kräfte“ von Herkunft, Ziel und „dazwischen“ die Gestaltung und das Geburtenverhalten von Migrantenfamilien beeinflussen, ist es unabdingbar, zu verstehen, was im europäischen Kontext mit den Nachkommen der Zuwanderer geschieht. Inwiefern spiegelt ihr Erfolg oder Misserfolg den Migrationskontext ihrer Eltern wider („Arbeitsmigranten“), und wie stark wird dieser von den institutionellen und politischen Rahmenbedingungen der verschiedenen europäischen Staaten beeinflusst?

Drittens müssen alternative Arten von Familienverhalten berücksichtigt und aus mehreren Gründen explizit in die Analysen eingeschlossen werden. Erstens, um eine Verzerrung der Ergebnisse zu vermeiden und zweitens, um unser Verständnis der Integration ethnischer Minderheiten zu verbessern. Insbesondere die Praxis des Zusammenlebens mit und des Zuzugs von Ehepartnern aus dem Herkunftsland ist dabei von besonderem Interesse. So haben etwa neuere Studien gezeigt, dass das Zusammenleben mit einem gebürtigen spanischen Partner eine gängige Praxis bei Frauen ist, die aus Lateinamerika nach Spanien zuwandern, und eher mit einem niedrigeren als höheren Bildungsniveau einhergeht. Zugleich belegt die Analyse binationaler Ehen zwischen gebürtigen Spaniern und Zuwanderern, dass die Chancen, einen Partner aus einem anderen Land zu finden, für Frauen und gebildete Personen größer sind als für Menschen aus Lateinamerika.

Viertens sollte mehr vergleichende Forschung über Familienverläufe von verschiedenen Migrantengruppen und ethnischen Minderheiten und verschiedene Ländern durchgeführt werden. Bisher hat die Forschung über Migrantenfamilien meist nur Migranten und ethnische Minderheiten in einem oder maximal zwei Staaten untersucht. Es mangelt an einer wirklich vergleichenden Forschung, die die vielfältigen institutionellen und politischen Rahmenbedingungen in Europa berücksichtigen. Wenn man die einzigartige Chance nutzt, die Europa als Untersuchungsraum bietet, lässt sich untersuchen, inwiefern sozioökonomische, institutionelle und politische Rahmenbedingungen das Familienleben von Zuwanderern und deren Nachkommen beeinflussen. Ein guter Anfang sind die vorliegenden Untersuchungen zum Geburten- und Paarbildungsverhalten von Frauen mit türkischer Herkunft in sieben europäischen Staaten.  Diese Untersuchungen sind auch ein gutes Beispiel dafür, wie sich Daten aus verschiedenen Staaten zusammenführen und Vergleichsstudien durchführen lassen.

Den Autoren zufolge gilt es jedoch darüber hinaus, Hypothesen zu den Auswirkungen des sozialstaatlichen Kontextes sorgsam zu spezifizieren und zu testen. Vielmehr sollten „Theorien mittlerer Reichweite“ dazu entwickelt werden, wie institutionelle und politische Rahmenbedingungen das Familienleben von Zuwanderern und ihren Nachkommen beeinflussen. Die Messung der kulturellen und strukturellen Integration von Zuwanderern und ihren Nachkommen ist eine wichtige Aufgabe, die aber nur dann Bedeutung erlangt, wenn sie in einen breiteren sozialstaatlichen Kontext gestellt wird.

 

 

Please note that only the English version is citable as this is the version that has been approved by the author(s). Please cite the Digest as: Vono de Vilhena, Daniela and Matthiesen, Sigrun (2014): Missing the Bigger Picture: More life course research and European comparisons are needed about immigrant and ethnic minority families. FamiliesAndSocieties Digest 9. Berlin: Population Europe. Available at: http://population-europe.eu/pop-digest/missing-bigger-picture. (Date of Access)

This Population Digest has been published with financial support from the Progress Programme of the European Union in the framework of the project “Supporting a Partnership for Enhancing Europe’s Capacity to Tackle Demographic and Societal Change”.