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Wie können wir Langlebigkeit besser messen?

Ein neuer Ansatz für die statistische Bewertung des Alterns

Europas Bevölkerung alter, und dieser Prozess geht mit vielen ökonomischen und gesellschaftlichen Veränderungen einher. Nachhaltige Rentensysteme und Renteneintrittsalter gehören hierbei derzeit zu den am meisten diskutierten Politikmaßnahmen. In Großbritannien, den Niederlanden, Deutschland, Dänemark und Spanien ist das offizielle Renteneintrittsalter auf 67 Jahre erhöht worden, in Irland sogar auf 68 Jahre. Aber wie können die politisch Verantwortlichen diese Erhöhungen des Renteneintrittsalters gegenüber der Öffentlichkeit rechtfertigen?
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Better Tools To Deal With Longevity
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Europas Bevölkerung alter, und dieser Prozess geht mit vielen ökonomischen und gesellschaftlichen Veränderungen einher. Nachhaltige Rentensysteme und Renteneintrittsalter gehören hierbei derzeit zu den am meisten diskutierten Politikmaßnahmen. In Großbritannien, den Niederlanden, Deutschland, Dänemark und Spanien ist das offizielle Renteneintrittsalter auf 67 Jahre erhöht worden, in Irland sogar auf 68 Jahre. Aber wie können die politisch Verantwortlichen diese Erhöhungen des Renteneintrittsalters gegenüber der Öffentlichkeit rechtfertigen? Inwiefern können sie wissen, wie viele der „letzten Jahre“ wahrscheinlich bei guter Gesundheit, und damit arbeitsfähig, zugebracht werden? Die Forscher Warren C. Sanderson und Sergei Scherbov schlagen neue Verfahren zur Messung des Alterns vor, die die Zunahme der Lebenserwartung berücksichtigen. Der Schwellenwert, ab dem jemand als alt gilt, wird in ihrer Arbeit neu definiert und ist mit der Lebenserwartung verknüpft. Ihr Modell betrachtet den Gesundheitszustand von Bevölkerungen – mit überraschenden Ergebnissen.


 


Die Neuvermessung des Alterns


Bisher wird das Niveau der Alterung anhand klassischer demografischer Maßzahlen definiert. Gebräuchlich war der „Altersabhängigkeitsquotient“ (old age dependency ratioOADR), dem die Annahme zugrunde liegt, dass Menschen von anderen abhängig sind, wenn sie das Alter von 65 Jahren erreichen. Inzwischen gibt es eine genauere Maßzahl. Die Menschen werden nicht nur älter, sie bleiben auch länger gesund und unabhängig. In anderen Worten: Die Zunahme der Lebenserwartung bedeutet auch einen Zugewinn an gesunden Jahren und heißt nicht automatisch, dass Menschen zu einer Belastung für das Gesundheitssystem werden. Die Indikatoren müssen deshalb mehr Faktoren einbeziehen, etwa den Anteil an Erwerbsunfähigen.


 


Alternative Berechnungen


Die erste Alternative zum OADR ist der „prospektive Altersabhängigkeitsquotient“ (prospective old age dependency ratioPOADR). Er berücksichtigt die prognostizierte Zunahme der Lebenserwartung und ist definiert als die Anzahl an Menschen in Altersgruppen mit Lebenserwartungen von 15 Jahren oder weniger, dividiert durch die Anzahl der mindestens 20 Jahre alten Menschen in Altersgruppen mit einer Lebenserwartung von mindestens 15 Jahren. Wie in Tabelle 1 ersichtlich steigt der POADR weniger schnell als der OADR.


Für bestimmte Altersgruppen haben die charakteristischen Invaliditätsraten enorm abgenommen. In den Vereinigten Staaten sank der Anteil invalider Personen in der Altersgruppe der 65-74-Jährigen von 42 % im Jahr 1982 auf 8,9 % in den Jahren 2004-05. Angesichts dieser Entwicklungen sind klassische Maßzahlen nicht gut geeignet für die Evaluierung von Altersstruktureffekten. Für die Untersuchung der Auswirkungen gesundheitlicher Einschränkungen definieren die Autoren deshalb ein Maß analog zum OADR. Es wird als „adulter Invalidenabhängigkeitsquotient“ bezeichnet (adult disability dependency ratio — ADDR) und ist definiert als die Anzahl mindestens 20 Jahre alter Erwachsener mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen, geteilt durch die Anzahl mindestens 20 Jahre alter Erwachsener ohne diese. Der ADDR ist ein recht robustes Maß und könnte daher den Raum für politische Spekulation und Kontroversen beschränken.


 



Tabelle 1: Prognosen des Quotienten beeinträchtigter Erwachsener (Adult Disability Dependency Ratio - ADDR) und des prospektiven Altenquotient (Prospective Old Age Dependency Ratio - POADR)


 


Andere und weniger beunruhigende Berechnungen


Dementsprechend steigt der OADR viel schneller als der ADDR. Im VK beispielsweise wird für den OADR ein Anstieg von 0,27 in den Jahren 2005-10 auf 0,41 in den Jahren 2045-50 erwartet. Im Unterschied hierzu bleibt der ADDR konstant bei 0,10 (siehe Tabelle 3). Folglich wird die britische Bevölkerung zwar älter, aber auch gesünder, und diese beiden Effekte heben einander auf. Der ADDR steigt nicht nur langsamer als der  OADR, er steigt auch langsamer als der POADR. Allerdings bestehen hinsichtlich dieser Daten noch einige Probleme. So besteht etwa die Gefahr, dass ältere Menschen mit Behinderungen nicht berücksichtigt werden, wenn Menschen in Pflegeeinrichtungen nicht einbezogen werden. Dennoch zieht der ADDR die Tatsache ins Kalkül, dass die Menschen wesentlich länger gesund bleiben als früher.


 



Tabelle 2: Altenquotient und Quotienten beeinträchtigter Erwachsener (Adult Disability Dependency Ratio) in GB Abkürzungen: ADDR - Adult Disability Dependency Ratio, OADR - Altenquotient (Old Age Dependency Ratio), EDDS - European Demographic Datasheet, UN - Vereinte Nationen (United Nations)


 


Und wie sieht es mit der Akzeptanz in der Öffentlichkeit aus?


Die Lebenserwartung wird weiter steigen und mit ihr werden wir gesunder Jahre hinzugewinnen. Politik und Gesellschaft werden nicht umhin können, sich mit beiden Trends zu beschäftigen. Neue Maßzahlen wie die hier vorgeschlagenen können dabei helfen, die Öffentlichkeit über die wahrscheinlichen Konsequenzen zu informieren. Um Kürzungen der zukünftigen Rentenzahlungen zu vermeiden, werden die meisten Staaten die Renteneintrittsalter vermutlich sogar noch weiter hinaufsetzen. Doch langsame und vorhersehbare Änderungen der Rentensysteme sind durch eine entsprechende Zunahme gesunder Jahre in höherem Alter gerechtfertigt und sollten daher politisch akzeptabler sein. Die Alterung der Bevölkerung wird in den kommenden Jahrzehnten auf jeden Fall die zahlreiche Herausforderungen mit sich bringen. Gleichwohl gilt: Durch die Nutzung veralteter Maßzahlen werden die negativen Auswirkungen der Bevölkerungsalterung auf den Sozialstaat überbewertet. Mit einem breiteren Spektrum an Maßzahlen lassen sich diese Probleme besser angehen.


 


 


Please note that only the English version is citable as this is the version that has been approved by the author(s). Please cite the PopDigest as: Robles, Isabel (2012): Better Tools To Deal With Longevity: A new approach to evaluate data about getting old. PopDigest 20. Berlin: Population Europe. Available at: http://population-europe.eu/pop-digest/better-tools-deal-longevity. (Date of Access)


This Population Digest has been published with financial support from the Progress Programme of the European Union in the framework of the project “Supporting a Partnership for Enhancing Europe’s Capacity to Tackle Demographic and Societal Change”.

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