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Neue Erfahrung, gleicher Effekt

Elterliche Trennung, psychisches Wohlbefinden und Bildungsabschlüsse von Schweden der Geburtsjahrgänge 1892 bis 1991

Im Lauf der letzten hundert Jahre haben die Scheidungs- und Trennungsraten in allen Staaten Europas dramatisch zugenommen. Hat dies für Kinder und Jugendliche dieselbe Bedeutung wie vor einem Jahrhundert? In welchem Maße hat sich der Zusammenhang zwischen elterlicher Scheidung und Kindeswohl im Lauf der Zeit verändert?
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Neue Erfahrung, gleicher Effekt
Copyright: Romolo Tavani

Im Lauf der letzten hundert Jahre haben die Scheidungs- und Trennungsraten in allen Staaten Europas dramatisch zugenommen. Hat dies für Kinder und Jugendliche dieselbe Bedeutung wie vor einem Jahrhundert? In welchem Maße hat sich der Zusammenhang zwischen elterlicher Scheidung und Kindeswohl im Lauf der Zeit verändert? Um diese Fragen für Schweden zu beantworten, nutzen Michael Gähler und Eva-Lisa Palmtag sechs Wellen der schwedischen Erhebung über die Lebensbedingungen (Swedish Level of Living Survey) und untersuchen die Daten über kindliche Lebensbedingungen für ein ganzes Jahrhundert schwedischer Geburtsjahrgänge (1892 bis 1991).


Den Daten zufolge ist der Prozentsatz der Kinder und Jugendlichen, die eine Auflösung der Familie erlebten, bevor sie 16 Jahre alt waren, von etwa einem Prozent (für im späten 19. Jahrhundert Geborene) auf etwa ein Viertel (für Ende des 20. Jahrhunderts Geborene) gestiegen. Der Anteil an Befragten, die von ernsten Konflikten in ihrer Kindheitsfamilie berichten, ist von knapp 10 Prozent auf etwa ein Viertel gestiegen (Abbildung 1). Für einen langen Zeitraum, nämlich für Befragte geboren in den 1890er bis in den 1950er Jahren, bestand zwischen der Scheidung der Eltern und häuslichen Konflikten eine Diskrepanz: Für Kinder war es eindeutlich üblicher, streitende Eltern zu erleben als Scheidung. Dies impliziert, dass viele Eltern weiterhin zusammenlebten, obwohl ihre Beziehung durch schwere Konflikte gekennzeichnet war.


Abbildung 1: Art der Kindheitsfamilie und schwere Meinungsverschiedenheiten in der Kindheitsfamilie nach Geburtsjahr (1892-1991), gleitende 5-Jahresdurchschnitte


 


Zu Beginn dieses Zeitraums berichtet von zehn Befragten aus Trennungsfamilien beinahe jeder achte von schweren Konflikten in der Kindheitsfamilie (Abbildung 2). Dieser Anteil ist für zwischen 1970 und 1991 geborene Kohorten weniger als halb so groß und damit bedeutend geringer. Diese Entwicklung entspricht den sich über die Zeit veränderten Scheidungsmotiven. Früher – als Scheidung gesellschaftlich stigmatisiert war, und die ökonomischen und rechtlichen Hindernisse größer waren – waren Ehepartner oft gezwungen, zusammen zu bleiben, und ließen sich nur dann scheiden, wenn die Situation unerträglich war. In Schweden wurde das mit Scheidung und Trennung verbundene gesellschaftliche Stigma im Verlauf des 20. Jahrhunderts kleiner, und ein fast konstantes Wirtschaftswachstum sowie die Einführung sozialstaatlicher Arrangements verbesserten die allgemeinen Lebensbedingungen, wodurch die Hürden für Scheidungen niedriger wurden.


Abbildung 2: Schwere Meinungsverschiedenheiten in der Kindheitsfamilie nach Art der Kindheitsfamilie und Geburtsjahr (1892-1991)


 


Somit geht eine Trennung der Eltern heute mit anderen Umständen und Lebensbedingungen einher als vor einem Jahrhundert. Ein kleinerer Teil der Befragten mit geschiedenen Eltern gibt an, ernste familiäre Konflikte und ökonomische Schwierigkeiten in der Kindheit erlebt zu haben. Gleichzeitig ist die Scheidung in allen Gesellschaftsschichten häufiger geworden, vor allem in der Arbeiterklasse, sodass sie mit einer geringeren sozialen Stigmatisierung behaftet ist. Eine zunehmende Zahl an Kindern bleibt mit dem nicht-sorgeberechtigten Elternteil in Kontakt, erlebt Wohnmobilität und Patchworkfamilien.


Die Ergebnisse deuten ferner darauf hin, dass es keinen direkten Zusammenhang zwischen der elterlichen Scheidung in der Kindheit und dem psychischen Wohlbefinden im Erwachsenenalter gibt. Tritt ein geringeres psychisches Wohlbefinden erwachsener Kinder aus Trennungsfamilien auf, scheint dies damit zusammen zuhängen, dass diese Personen mit größerer Wahrscheinlichkeit ökonomische Schwierigkeiten und schwere Konflikte in ihrer Kindheitsfamilie erlebt haben. Was Bildung anbelangt, sieht es teilweise anders aus: Schwere Konflikte in der Kindheitsfamilie stehen nicht im Zusammenhang mit einem niedrigen Bildungsstand als Erwachsener und können daher nicht erklären, warum Befragte aus Trennungsfamilien mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit eine hohe Bildungsstufe erreichen als Befragte aus intakten Kindheitsfamilien. Doch Individuen aus Trennungsfamilien haben mit einer größeren Wahrscheinlichkeit als früher Eltern mit niedrigem Bildungsniveau, die zur Arbeiterklasse gehören, und der relative Unterschied hinsichtlich der ökonomischen Schwierigkeiten in der Kindheit hat im Verlauf der letzten Jahrzehnte zugenommen – zuungunsten der Bildungsabschlüsse dieser Individuen.


Unverändert über die Zeit blieb jedoch der grundlegende Zusammenhang zwischen dem Typus der Kindheitsfamilie und sowohl der Bildung wie auch dem psychischen Wohlbefinden als Erwachsener. Weiterhin – wenn nicht in zunehmendem Maße – haben hier die Unterschiede der Familientypen bezüglich familiärer Konflikte und wirtschaftlicher Umstände einen starken Einfluss, worauf frühere amerikanische und britische Studien bereits hinwiesen. So lange diese Unterschiede fortbestehen, sind für den Zusammenhang zwischen dem Erleben der elterlichen Scheidung in der Kindheit durch das Individuum und dessen Wohlbefinden im Erwachsenenalter nur geringe Veränderungen zu erwarten.


 


 


Please note that only the English version is citable as this is the version that has been approved by the author(s). Please cite the Digest as: Vono de Vilhena, Daniela and Matthiesen, Sigrun (2014): Changed Experience, Unchanged Effect: Parental Divorce, Psychological Well-Being and Educational Attainment Among Swedes Born 1892-1991. FamiliesAndSocieties Digest 10. Berlin: Population Europe. Available at: http://population-europe.eu/pop-digest/changed-experience-unchanged-eff…. (Date of Access)


This Population Digest has been published with financial support from the Progress Programme of the European Union in the framework of the project “Supporting a Partnership for Enhancing Europe’s Capacity to Tackle Demographic and Societal Change”.